Das Walking Archive ist eine interaktive Audio-Map. Es enthält bislang 9 Kiezspaziergänge rund um den Oranienplatz. Zeitzeug*innen begleiten Dich durch verschiedene Zeiten und Themen Kreuzbergs. Marginalisierung und Verdrängung kommen darin ebenso vor wie Revolution, Kunst und wildes, freies Leben.
Das Walking Archive ist eine GPS basierte Web-App. Um es zu nutzen brauchst Du ein internetfähiges, mobiles Endgerät. Die Audiowalks kannst Du erst starten, wenn du physisch vor Ort bist, also dort wo die Geschichte geschehen ist, wo ein Objekt steht.

Hier geht’s ins Archiv  >>>www.walkingarchive.de>>>

 

Archivieren ist eine kollektive Praxis. Laufen, sehen, hören, erleben. Die Biographie eines Ortes verdichtet sich in den Knotenpunkten seiner Geschichte(n). Über Dein Handy navigiert Dich das Walking Archive durch die Schichtungen eines Stadtteils, im Dialog mit seinen Bewohner*- und Besucher*innen. Es lädt ein, dem persönlichen Blick eines Menschen auf seine Nachbarschaft rund um den Oranienplatz zu folgen und verhält sich damit auch zu der großen Frage: Wer schreibt eigentlich Geschichte? Und kann es so etwas wie DIE Geschichte überhaupt geben?

Interessierte können eigenständig neun Kiezspaziergänge ablaufen, während sie über Kopfhörer akustisch von Zeitzeug*innen durch den Kiez geführt und begleitet werden. Kreuzberg ist ein Kiez von großer gesellschaftlicher Spannung, heute wie vor 40 Jahren. Der Mikrokosmos eines Hauses ist der Startpunkt einer Reise in das Geflecht urbaner Biographien.  Menschen, die schon lange hier leben, sich dem Ort verbunden fühlen oder ihn aus einem bestimmten Grund besuchen, nehmen Dich mit in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Sie erzählen von politischen Zusammenhängen, vergessenen Orten, Widerstand durch Gartenbau, kollektiven Arbeitsstrukturen, der Männerlastigkeit im Besetzer*innenrat und rabiaten Fischverkäuferinnen.

Wir denken, körperliche Gegenwart macht manchmal den Unterschied, deshalb kommt es im Walking Archive auf den Standpunkt an. Die Geschichten starten am Ort ihres Geschehens, durch das Netz der Erzählungen kannst Du frei flottieren, denn  Erinnern ist immer eine Bewegung. Vielleicht gibt es am Ende mehr Fragen als Antworten, aber das finden wir okay – denn das Walking Archive will weiterwachsen.

Zum Launch des „Walking Archive“ am 25.02.2024 moderierte Susanne Bosch vor vollem Haus einen Talk mit den Akteur*innen, der in Kürze als kuratorische Fußnote Einzug ins Walking Archive halten wird.

(c) Johannes Gwinner

Noch bis zum 23.3.2023 im Projektraum o45

Ausstellung Oh 45 von Dieter Masuhr
25.02. – 23.03.2024
Do – So, 15 – 19h

Hintergründe

Wie sähe ein Stadtplan aus, der nicht nur Häuser und Straßen verzeichnet, sondern auch die Menschen, die in ihnen leb(t)en, die Geschichten, die in ihnen passier(t)en?

Unser Projektraum befindet sich in einem Ladenlokal in der Oranienstr. 45, das einst einen Juwelier beherbergte, danach das politisch links ausgerichtete Anti-Quariat. 1980 besetzt, ist die O45 heute ein Mietshaus in Selbstverwaltung. Hier leben einstmalige Instandbesetzer sowie Zugezogene und junge Familien. Bis heute überlagern sich hier verschiedene Ansätze von Kollektivität, Raumnutzungideen und urbaner Praxis. Das Haus beherbergt auch die Bilgisaray, eine offene Kiezküche, in der Geflüchtete, Berliner*innen, Aktivist*innen von überall zusammen treffen und als Kollektiv Ideen zu nachhaltigem Leben erproben.
Die Geschichte dieses Hauses ist besonders, aber auch exemplarisch lesbar für viele andere in Kreuzberg, Berlin, Deutschland und Europa. Folgen wir den Wegen und Erzählungen der Bewohner*innen und Besucher*innen dieses Hauses, werden wir den uns vertrauten mitteleuropäischen Raum jedoch mitunter verlassen und ganz anderen Erzählungen von Raumnahme und -verlust konfrontiert sein. Wie schreiben sich diese Migrationswege in unsere gemeinsame Stadtstruktur ein? Und welche Geschichten bleiben auf der Strecke?

Mit AWalkingArchive wollen wir den Vernetzungen eines Ortes in Raum und Zeit folgen und unerzählte, vergessenen oder marginalisierten Geschichten an die Oberfläche verhelfen. Ausgehend von unserem Hier und Jetzt wollen wir uns auf eine Spurensuche begeben und in die Vergangenheit dieses Hauses und seiner Bewohner:innen eintauchen, ihnen folgen und sie mit aktuellen Pfaden verknüpfen. AWalkingArchive ist ein medienarchäologisches Projekt, indem der Schwerpunkt zunächst auf analogen Bergungspraktiken liegt: Ausgraben und Erinnern. Das kann die Sichtung und Aufarbeitung alter Dokumente (Fotos, Plakate, etc.) betreffen, wie auch das topographische sortieren jüngerer (Video-)Posts oder das Produzieren von Tonspuren oder gegenwärtigen Momentaufnahmen.

Instand-Besetzer-Post Nr.20 – 25.08.1981 – TUWAT (Beilage)
(c) www.archivtiger.de

Der Stein vom O-Platz (1986)

AWalkingArchive ist gleichzeitig ein Versuch operativen Archivierens, eine kritische Beobachtung des medialen Paradigmenwechsel vom Objekt zum Prozess. Der „Stein vom O-Platz“, den uns Udo, der linke Anti-Quar hinterließ als er uns den Raum übergab, erzählt die Geschichte einer objektbasierten Erinnerungskultur, deren Übergang in einen anikonischen Bildfluß gestreamter Protestaktionen beispielsweise gegen die Räumung des Geflüchtetencamps auf dem O-Platz vom April 2014 nur bruchstückhaft dokumentiert erscheint. Auf welcher Basis, in welchem Medium können Stein und Stream eine gemeinsame Plattform finden?

Dieser Frage wollen wir mit der augmented[archive] App von Kaya Behkalam nachgehen. Gemeinsam mit Kaya werden wir die bereits existierende App auf unsere spezifischen Bedürfnisse anpassen. Sie ist in erster Linie Werkzeug und Instrument, das es uns ermöglichen soll verschiedene Topographien und unterschiedliche Zeitwahrnehmungen beider Erinnerungskulturen zu kallibrieren. Die Möglichkeit, über die App eine geteilte Raumzeit zu generieren, in dem bspw. der Stein mit den Protestvideos in einer Überblendungsanordnung erscheint, sobald Nutzer:innen den Ort des Geschehens aufsuchen, ermöglicht es, die Sukzession von Erinnerungen zu befragen, zu archivieren oder zu verwerfen. Hörstücke, Interviews oder Atmos können die Collage erweitern. In einem weiteren Schritt, wollen wir den Fokus der Betrachtung noch ein Stück weiter öffnen. Lassen sich verschiedene Orte des Protestes überlagern um bspw. so etwas wie eine topographische Verschlagwortung zu erreichen? Können Plätze und ihre Aufstände etwas über die Stadt, ihre Geschichte, ihre sozialen Spannungen erzählen? Haben beispielsweise der Tahrirplatz und der Oranienplatz einen gemeinsamen Resonanzraum? Und unter welchen Bedingungen kann eine solche transkulturelle Verschaltung funktionieren?

Ein Projekt von DasBuchprojekt (2023): Katharina Bischoff, Kerstin Follenius, Sophia Paeslack und Gästen: Kaya Behkalam, Jonas Fehrenberg, Ahmad Gharbeia, Katja Andrea Hock, Farhan Khalid, Rim Naguib und: Carola Kloss, Christina Bleuler, Christoph Villinger, Cora Heitzmann, Daniel Huber, David Permantier, Doris Fangmann, Doro Bruch, Friederike Terhechte Mermeroglu, Hans Euler, Helen Gillert, Hermann Schröder, Hilde Wittur, Irmgard Born, Maike Mumm, Melina von Gagern, Naomi Hennig, Paula, Pınar Öğrenci, Sabine Weber, Silvia Colitti-Woller, Stephan Woller, Susanne Follenius-Büssow, Tomasz Stompor, Ursula Frohne, Wolfram Sander 

gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.